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Astroturfing: Künstliche Graswurzelbewegungen

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Geschrieben von Wolfgang Wittmann

Definition: Was ist Astroturfing?

Das englische Wort “astroturf” wird übersetzt mit “Kunstrasen”. Im übertragenen Sinne steht der Begriff Astroturfing für eine künstliche Graswurzelbewegung.
Astroturfing ist demnach der Versuch eine Bewegung bzw. Initiative für eigene Zwecke ins Leben zu rufen und mit dieser die öffentliche Meinung zu lenken.

Wie ist der Begriff entstanden?

Der Begriff hat seinen Ursprung in Texas, 1985. Senator Lloyd Bentsen soll auf eine Flut an Post mit den Worten “Ein Texaner kennt den Unterschied zwischen Graswurzeln und Astroturf. Das ist alles fabrizierte Post.” reagiert haben.

Wie funktioniert Astroturfing?

Für “erfolgreiches” Astroturfing muss eine große Aufmerksamkeit erlangt werden. Das wird wie folgt erreicht:

Eine (künstliche) Diskussion wird in öffentlichen Foren, Leserbriefen, Blogbeiträgen oder Tweets herbeigeführt. Die Debatte wird so lange angeheizt – u.a. durch Kommentare, Weiterleiten, Likes -, bis die Thematik ausreichend großes öffentliches Interesse erlangt hat. In der Regel wird eine emotionale Ansprache benutzt, um möglichst viele Personen zu erreichen.

Der Eindruck entsteht, dass ein Großteil der Bevölkerung diese Meinung (die dem Unternehmen selbstverständlich dienlich ist) vertritt. 
Das Individuum fühlt sich als Folge davon wiederum bemüßigt diese vorgebliche Meinung der Öffentlichkeit für sich zu übernehmen. Diesen Effekt nennt man den Bandwagon-Effekt. 

Die Maßnahmen müssen gut koordiniert werden und Verbindungen zum Unternehmen sorgfältig kaschiert werden, damit die Methode nicht “auffliegt”.

Was bezweckt die Methode?

In der Regel soll die öffentliche Meinung beeinflusst werden. Eine Person, eine Gruppe, ein Produkt oder ein Unternehmen soll in gutes Licht gerückt bzw. diesbezüglich Aufmerksamkeit generiert werden.

Genauso kann aber auch eine dem Unternehmen “schädliche” Bewegung diskreditiert werden. So kann der Eindruck erweckt werden, dass eine bis dato positive Bewegung umstritten ist.

Vor- und Nachteile künstlicher Graswurzelbewegungen für Unternehmen

VorteileNachteile (Wenn der Versuch des Astroturfing publik wird)
Kann eine (echte) positive Bewegung in Gang setzenErhebliche Gefahr des Reputationsverlusts
Kann von Themen, die dem Ansehen des Unternehmens schaden, ablenkenMindert das Vertrauen
Wirkt manipulativ

Beispiele für Astroturfing

  • Global Energy Balance Network: Die gemeinnützige Organisation gab bekannt, dass nicht Fast Food oder Süßgetränke schlecht für die Gesundheit seien, sondern nur mangelnde Bewegung. Diese Falschmeldung wurde von Wissenschaftlern allerdings schnell enttarnt. 2015 klärte die New York Times dann auf, welchen Ursprung diese “Studie” hatte. Coca Cola hatte die Organisation mit 1,5 Mio. Dollar unterstützt. Auch die Gründer sollen Millionenbeträge von Coca Cola erhalten haben.
    Die Organisation dementierte, eine Offenlegung der internen Kommunikation bestätigte jedoch den Verdacht der Manipulation. Wenig später wurde die Organisation aufgelöst. Coca Cola gab kein Statement ab.
  • Deutsche Bahn: 2009 veröffentlichte LobbyControl, dass die Deutsche Bahn 2007 über 1 Mio. € für Stimmungsmache gegen den Lokführerstreik und für die Privatisierung der Bahn “investiert” hatte. Das Unternehmen nutzte hierfür Foren und Blogs von Brigitte und Spiegel Online. Unterstützt wurde die deutsche Bahn dabei von den Unternehmen EPPA GmbH, Allendorf Media und Berlinpolis.
  • FDP: 2010 wurde öffentlich, dass die FDP wiederholt anonym parteifreundliche Kommentare auf der Seite ruhrbarone.de gesetzt hatte.
  • UNITI Bundesverband mittelständischer Mineralölunternehmen: UNITI versuchte auf der Welle der “Friday for Future”-Bewegung mitzureiten. Hierzu ließ das Unternehmen Demonstranten engagieren, die “E-Fuels for Future” auf Plakaten auf den Demonstrationen hochhalten sollten. LobbyControl deckte den Versuch auf.
  • Waste Watchers: 1995 machte der Spiegel öffentlich, dass verschiedene Gründungsmitglieder der vermeintlich umweltfreundlichen Organisation Waste Watchers Verbindungen zu Tetra Pak haben. Die Organisation warb nicht nur für Müllverbrennungsanlagen, sondern warf umweltfreundlichen Organisationen vor, dass sie, da sie ja Müllverbrennungsanlagen vermeiden wollen, die Entstehung von Müllbergen fördern würden. Um diesen Standpunkt zu verdeutlichen, schüttete Waste Watchers auf Umweltmessen Müllberge vor die Stände des Bundes für Umwelt und Naturschutz. Weiterhin verleumdeten sie den Geschäftsführer des Bundes für Umwelt und Naturschutz Baden-Württemberg. Nach der Veröffentlichung des Spiegels erlitt das Unternehmen einen erheblichen Reputationsverlust, von dem sich die Organisation nicht mehr richtig erholen konnte.
  • Airbnb: 2014 trat das Berliner Zweckentfremdungsverbot in Kraft. Demzufolge muss eine Wohnung, die zu Airbnb-Zwecken genutzt werden soll, hierfür erst genehmigt werden. Prompt rief der Berliner Homesharing Club eine Gegeninitiative bzw. Protestbewegung ins Leben. Der eigentliche Ursprung: Zur Protestbewegung erhielt die Organisation Unterstützung in puncto Finanzierung und Umsetzung von Airbnb.

Grassroots vs Astroturfing

Wie die Bezeichnung bereits verrät, hat Astroturfing einen künstlichen Ursprung. Hier wird nur so getan, als würde eine gesellschaftsrelevante Bewegung in Gang gesetzt werden. Vielmehr soll jedoch die öffentliche Meinung bzw. Aufmerksamkeit – weg von unliebsamen hin zu unternehmensförderlichen Themen – gelenkt werden.

Eine Graswurzelbewegung hingegen ist “echt” und entspringt in der Regel “ehrlichen” Beweggründen. Auch hier wird ein dediziertes Ziel verfolgt, wie z.B. Aufmerksamkeit für ein bestimmtes Thema zu erreichen oder eine Organisation zum Handeln zu bewegen.

Im Gegensatz zum Astroturfing stehen Initiativen durch Bürger weitaus weniger (finanzielle) Mittel zur Verfügung als Unternehmen.
Dafür fehlt es letzteren oftmals an Glaubwürdigkeit – daher auch die “Notwendigkeit” der Imitation einer öffentlichen Meinung.

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